Heimat oder Fremde? 2018
Ein fast verdrängter Begriff wird zum Zauberwort für Politik.
Heimatpopulismus ist international modern.
Die Grenzen zwischen Patriotismus und Nationalismus verschwimmen.
Die Freiheit, in der ganzen Welt zu Gast zu sein, wirkt getrübt durch den den Umstand, dass immer mehr Menschen aus existentieller Not ihrer Heimat verlassen müssen.
Die Diskussion dreht sich immer wieder um Fremdenfeindlichkeit, Integration, Toleranz, Kulturbruch.
Fremdsein wird fühlbar für alle Seiten.
Die Diskussion des Begriffes „Heimat“ gewinnt an Schärfe an Küchentischen, in der Gesellschaft, in der Politik.
In unseren Schulen spüren wir die Unsicherheit im Umgang mit dem „Anderssein“.
Zusammen mit unseren Partnern aus Israel spüren wir diesem Begriff nach.
Bei Arbeitstreffen in der Oberschule Geestemünde und der Gymnasialen Oberstufe Carl-von-Ossietzky haben sich 25 Gäste mit 60 interessierten jungen Menschen aus Bremerhaven ausgetauscht und nach Antworten gesucht, in Debatten, mit Musik, Kunst. Mit Interviews und Film.
Ich konnte nicht wählen, ob ich nach Bremerhaven kommen will. Meine Eltern haben das entschieden.
Ich habe viele Freunde, meine Freundin und mein Fußballmannschaft in Ungarn gelassen.“ Chabby (16, Ungarn)
„Der Astronaut Alexander Gerst hat gesagt, wenn Leute die Perspektive hätte, mal aus dem Weltraum auf die Erde zu gucken und zu sehen, wie klein diese ist, dann würden sie vielleicht aufhören, so piefig in ihren eigenen vier Wänden oder in ihren eigenen Ländern zu denken“. Wilfried Wegner (47, Deutschland
„Ich fühle mich fremd, wenn ich von Menschen umgeben bin, die mich nicht wirklich verstehen und ich mich nicht erklären kann, weil ich mich verloren fühle.“ Nohar Cohen(19, Israel)
„Ich habe um den Deutschen Pass gekämpft und stehe auch dazu. Aber ich bin beides: Deutscher und Tamile.
Es ist ein Glück für mich, hier geboren zu sein. Ich muss sehr dafür kämpfen, dass meine Eltern hierbleiben können.“ Agash (16, Deutschland)
„Wir glauben, unsere Generation ist geprägt vom Heimatgefühl unserer türkischen Eltern. Jedes Jahr ist man in der Türkei, Familie treffen, schöne Zeit. Und plötzlich bist du erwachsen und merkst: Deutschland ist deine Heimat. Hier bist du verwurzelt!“ Ebru und Özgür (37/40, Deutschland)
Freundschaft kennt keine Grenzen!
Und was ist eigentlich…deutsch? (2018)
In der heutigen Zeit klingt das ja fast wie eine kleine politische Provokation. In Deutschland wird die Frage
des Deutsch-Seins immer schneller deutschtümelnd beantwortet. Und in manchem „nationalstolzen“ Land
scheint es zur Zeit modern, die Deutschen gleich wieder mit Nazis gleichzusetzen, nur weil Sie
demokratischen Grundrechten einen hohen Wert beimessen und Kritik und Anderssein als hohes „Gut“
zelebrieren.
Film AG und SV Beirat der OSG Medienwerkstatt haben Menschen verschiedener Generationen und Herkunft in Bremerhaven und bei unserem Besuch in Israel befragt.
„Pünktlichkeit, Regeln einhalten, Wert-/Qualitätsarbeit, Lebensqualität und ein gutes soziales Netz“ wurden der deutschen Identität fast immer zugeschrieben. Gefolgt von „Bier und Bratwurst“ als Zeichen der Deutschen Gemütlichkeit und Feierkultur. In einem anderen Licht sieht man schon die deutsche Befindlichkeit im Umgang miteinander. Unzufriedenheit, Regelhörigkeit, Missmut.
„Ich glaube, die Deutschen wissen gar nicht, wie gut es ihnen geht und wie schön es hier ist.“ (John Reinhard, Cookie-Baker)
„Das Lockere fehlt in Deutschland. Man sagt immer, Amerika ist oberflächlich, aber diese lockere „take it easy“, dieses positive Denken fehlt mir in Deutschland sehr.“ (Wally Kruso, Sportler, Geschäftsmann)
„Wenn wir bei unseren Filmarbeiten alles bis ins kleinste Detail durchplanen wollten, haben die Amerikaner im Team ungeduldig gefragt, ob man nicht endlich mal loslegen könnte. Sie fanden uns Deutsche in unserer Akribie einfach etwas zu übertrieben.“ Volker Engel (Filmemacher)
„Hier in Israel umarmen wir uns auf der Straße einfach, wenn wir uns sehen. Das ist völlig normal. In Deutschland würde man behaupten, man sei ein Paar.“ (Donny Azof, Schüler)
„In Deutschland können wir unserer Religion leben!“ Ein Satz, den wir in den Interviews gerade von vielen jungen Menschen gehört haben, wird als Zeichen von Respekt vor der Vielfalt in Deutschland verstanden. Dies korrespondiert auf wunderbare Weise mit einem Statement des israelischen Trommlers Coby Hagoel, der sich als Musiker für alle Spielarten der Handtrommeln im Orient verschrieben hat.
„Es ist auf der einen Seite großartig, wenn die Grenzen zwischen Staaten aufweichen. Die Europäer sollten dies bewundern, diesen erreichten Frieden schätzen. Auf der anderen Seite spürt man in der ganzen Welt, wie das „Einmalige“, das „Unvergleichliche“ verschwindet. Menschen bekommen Angst vor der Globalisierung. Es ist also gut, dass Menschen nach ihren eigenen Wurzeln suchen, denn als aller Erstes ist die Suche nach Wurzeln die Suche nach Kultur, nach Zusammenhang und Orientierung.“
ein Projekt der Medienwerkstatt der Oberschule Geestemünde
in Zusammenarbeit mit
Unerhört-Verein für Neue Musik e.V.
Conservatory Rosh HaAyin
Redaktion: Rainer Donsbach
Foto: Susanne Carstensen
Visuals: Max Duda
Grafik: Stephan Preuss
Print: concept+design
Produktion: Jens Carstensen
p+c 2018 Oberschule Geestemünde
http://oberschule-geestemünde.de
mail:jens.carstensen@oberschule-geestemuende.de
Organisation:
SV-Beirat Oberschule Geestemünde
Projektgruppe Israel
das Team 2018:
Noa Sha’abali, Sagi Kerman, Inbar Gonen, Shay Shani, Amit Avraham, Ron Kita, Stav Bachar, Oree Hazan, Elad Tal, Netanel Atary, Guy Gross, Noam Herman, Tal Lazmy, Yuval Yaakov, Yahel Gur, Nadav Dadia, Nohar Cohen, Ohad Madmoni, Hagai Sagi, Ofek Bar Joseph, Lenny Sharaby, Lynn Inkersole, Pedro da Silva Santos, Celina Wiederkehr, Kolya Strauss-Suhr, Yette Strauss-Suhr, Max Diekhoff, Nico Tylske, Agash Ratnakumar, Ronja Bellinghausen, Lara Cochius, Lisa Ackermann, Nohar Cohen, Noa Sharabi, Roee Nuriel, Leon Ischt, Jasmin Sievers, Chris Bundfuß, Rika Nau, Laura-Michelle Monsees
Noam Malca, Ilan Ben Arie, Keren Zafrani, Ofir Deligdish, Efrat Herman, Antonio Velasco-Munoz, Anne Mähnert, Katja Herpertz, Mesut Yurt, Nils Wandrey, Lena Kluger, Rainer Donsbach, Susanne Carstensen, Jens Carstensen
gefördert von:
Sonntagsjournal 03.03.2019